Ein Brief von Kristof
Hallo liebe Schülerin und lieber Schüler vom LFS,
ich bin Kristof und 25 Jahre alt. Ich bin funktional einäugig und habe einen Visus von 0,4 auf dem linken Auge mit einem eingeschränkten Gesichtsfeld.
Ich möchte dir gerne erzählen, wie es für mich war, erwachsen zu werden und lebensbedeutende Entscheidungen treffen zu müssen.
Die Frage ist, wo fange ich an und wo höre ich wieder auf mit den Dingen, die ich dir gerne erzählen will. Am besten von vorne und schön geordnet.
Also ich habe mit 17 Jahren die Realschule erfolgreich beendet und wusste beruflich noch gar nicht, was ich später mal machen wollte, deshalb habe ich ein berufliches Gymnasium in der Fachrichtung Gesundheit und Soziales besucht und 2014 mein Abitur absolviert. Während der Schulzeit habe ich verschiedene Praktika absolviert. Zwei über die Schule und drei auf freiwilliger Basis in meinen Ferien. Arbeitergeber waren u. a. eine Stadtverwaltung und ein Reisebüro. Die Praktika haben mir etwas geholfen in meiner Berufswahl. Ich kam zu der Erkenntnis, dass ich mit Menschen arbeiten möchte. Deshalb habe ich ein Langzeitpraktikum in einer Kindertagesstätte über ein Jahr absolviert. Diese Erfahrung war sehr toll. Ich empfehle jedem, nach der Schule ein Jahr Abstand vom Lernen zu nehmen und einen Beruf in einem geschützten Rahmen kennen zu lernen.
Das Jahr war nun vorbei und ich fing ein Studium zum Lehramt an, was mir nicht gefiel aufgrund der hohen Theorieanteile und der geringen Praxis. Aus diesem Grund begann ich eine Ausbildung zum Erzieher, die ich im Jahr 2019 erfolgreich beendet habe.
Neben der schulischen Laufbahn habe ich meine Freizeit mit verschiedenen Aktivitäten verbracht. Ich habe jahrelang als Trainer eine Handballmannschaft trainiert und diese auf Turnieren und bei Spielen begleitet. Die Kinder waren zwischen neun und elf Jahre alt. Außerdem habe ich viel in meiner Freizeit gelesen und mich mit der Acrylmalerei begnügt.
Während der gesamten Laufbahn wurde ich von meiner Beratungslehrerin vom LFS unterstützt. Sie stand mit immer mit einem offenen Ohr zur Verfügung und hat mir Hilfestellung geleistet frei nach dem Motto von Montessori: „Hilf mir es selbst zu tun.“
Wir haben gemeinsam erörtert, welche Möglichkeiten und welche Bedarfe ich habe. Diese habe ich ab einem bestimmten Zeitpunkt gegenüber Lehrkräften und etwaigen Arbeitgebern selbst kommuniziert und eigenständig Vereinbarungen getroffen. Ein Schritt in die Selbständigkeit und für sich selbst gut zu sorgen.
Nachteilsausgleiche sahen bei mir in etwa so aus:
- Vergrößerte Schrift einem A4-Format
- Einsatz eines iPad
- Pausenzeiten außerhalb des Prüfungsraumes an der frischen Luft
- Längere Prüfungszeiten, um Arbeiten sorgfältig bearbeiten zu können
Natürlich gibt es noch eine weitere Menge, was aber zu viel wäre hier alles niederzuschreiben.
Ich hoffe, ich konnte dir Mut machen auf deinem Weg zum Erwachsenen-Sein und in die Selbstständigkeit. Es lohnt sich. Gib nicht auf und sei einfach immer du selbst. Du brauchst dich nicht hinter deiner Seheinschränkung oder gar Blindheit verstecken, denn diese kann etwas ganz Wertvolles mitbringen, was Normalsehende nicht haben. Lass dich nicht von Menschen unterkriegen, die diese Einschränkung nicht akzeptieren. Du wirst andere und wertvollere Menschen kennen lernen, die dich akzeptieren, so wie du bist.
Viel Glück!!!
Landschaftsbild auf Wasserfarbe von Kristof Schöps © 2019